Was wir gesehen haben … c/o pop 2022
Die Europavox-Auswahl der herausragendsten Bands und Stimmen des diesjährigen c/o pop Festival in Köln, Deutschlands renommiertestem Showcase-Event.
Im Kölner Stadtteil Ehrenfeld – multikulturell, mit Boutiquen, Dönerläden, Clubs und Kulturzentren, kamen vom 20. – 24. April 2022 zum mittlerweile 18. Mal internationale Musiker*innen und Mitarbeitende der Musikindustrie zusammen – zu einem langen Wochenende mit Konferenzen und Auftritten.
Das diesjährige Festival und das dazugehörige Konferenz-Programm waren ganz auf die Zukunft ausgerichtet. Besetzt mit Talenten von morgen und den wichtigsten Gesprächsthemen, die die Musikbranche in den kommenden Jahren beschäftigten werden.
c/o Politics
Das Konferenz-Programm fand auf mehreren Bühnen und in den Hallen des Herbrand’s statt – und bot eine frische Mischung aus Networking-Events und Panels, bei denen die Zukunft von Musik, Talent und Technologie im Vordergrund stand.

Photo : Frank Schoepgens
Im Mittelpunkt der Interviews mit einflussreichen Talenten, die die zeitgenössische Kultur neu gestalten – darunter Gespräche mit dem deutschen Rap-Star Xatar, den Kultmedien-Stars El Hotzo und dem Team hinter dem erfolgreichen Machiavelli Podcast – standen bei der c/o pop die Medien und Technologien, die die moderne Musik beeinflussen.
Wie funktioniert der TikTok-Algorithmus? Wie hat sich der zeitgenössische Journalismus durch die sozialen Medien verändert? Wie umgehen mit Hate Speech in der Community? Was sind eigentlich NFTs und wie können Plattformen inklusiver werden? All diese Fragen und noch mehr wurden auf der Konferenz diskutiert.
Auch die Indies und Newcomer hatten dank einer Reihe von Initiativen vor Ort die Möglichkeit, dazuzulernen. Die New Talent Workshops der GEMA boten Nachwuchskünstler*innen eine Plattform, die dabei helfen soll, sich zu etablieren, während die VUT Indie Days Cologne mit einer Reihe von Workshops zu Themen wie Mentoring, internationalen Exportstrategien und vielem mehr dazu beitrugen, unabhängige Akteur*innen in der Branche zu stärken.
c/o Pops
Entweder hatten die Künstler*innen aufgrund der Pandemie mehr Zeit zum Proben, oder die Qualität der Musik ist über unsere Erwartungen hinaus noch besser geworden.
Die Europavox-Künstler*innen Friedberg, Sirens of Lesbos und Smoothboi Ezra eröffneten am Donnerstag mit viel Beifall das Festival. Der Auftritt der belgischen HipHop-Band Glauque am Freitagabend im Artheater (der sich leider mit dem Auftritt der anderen Europavox-Favoriten La Jungle überschnitt) war ein Showcase voller roher Emotionen und beeindruckender Skills. Die eindringliche Umsetzung des frankophonen Pops der Band, der mit Synthie-Leads und elektronischen Beats gespickt ist, wurde durch die energiegeladene Performance der Sängerin Ma Clément noch spektakulärer.
Apropos Elektronik: Das französische Duo ATOEM machte ordentlich Eindruck, als die beiden Musiker Synthesizern, Keyboards, Drumcomputern und Gitarren, die ein ganzes Studio füllen könnten, die Bühne betrat. Der Trend, dass zwei Jungs gemeinsam elektronische Musik produzieren, wird immer offenkundiger. Projekte wie Digitalism, BICEP und Disclosure gestalten den Sound der zeitgenössischen Musik neu. Prognose: ATOEM wird schon sehr bald Teil dieser Liste sein. Das warme und detailreiche Sound-Design des Produzentenduos, zusammen mit einem stetigen Fluss an Beats, zündete den Rave schon früh am Abend.

Photo : Philipp Pongratz
Im Club Bahnhof Ehrenfeld trat die himmlische Berliner Singer-Songwriterin May The Muse, alias Désirée Dorothy Mishoe, auf. Nur von einem Gitarristen und einem Produzenten unterstützt, schaffte es die gefühlvolle R&B-Sängerin, den vollen Raum mit ihrer gefühlvollen Stimme zu erfüllen und beendete ihr Set mit einer soften Version von „Bad Kingdom“ von Moderat. Beeindruckend für eine Künstlerin, die noch nicht mal ihr erstes Album veröffentlicht hat.
Eine weitere charmante Entdeckung am späten Freitagabend war das deutsche Melodic-Synth-Pop-Duo WEZN. Das elfenhafte Kostüm der Sängerin Maischa, inklusive spitzer Ohren, spiegelte den temperamentvollen Sound der Band wider, der an Grimes, und London Grammar erinnert und sich in seiner wehmütigen Verlassenheit verliert.
Frauen-Power
Über Nacht öffnete sich ganz Ehrenfeld. Die Straßen verwandelten sich in Marktplätze, und die Kölner*innen strömten in das Viertel, um am karnevalistischen Treiben teilzunehmen. Überall DJs und Bands, denn die Auftritte fanden auch in Geschäften und Friseursalons statt. Und die Straßen waren gesäumt von Sound-Systemen.

Photo : Monique Kuesel
Mit einem weiteren vollen Veranstaltungsprogramm über den ganzen Tag verteilt – bei freiem Eintritt für alle – stach vor allem das Kaliber der Künstlerinnen hervor.
Ein Beispiel? Die ukrainische R&B- und HipHop-Band Fo Sho, die aus den Schwestern Betty, Siona und Miriam sowie DJ kachevniki besteht, der sich erst am Tag vor dem Auftritt über die Grenze schmuggeln und einreisen konnte. Dank zahlreicher Auftritte allein am Samstag – besonders bemerkenswert: der Gig in einem Dönerladen – konnte das Trio während des Festivals viele neue Fans gewinnen und das Publikum mit mitreißenden R&B-Songs, darunter die Killer-Interpretation der politischen Hymne „You Cry Now“, bis ins Mark erschüttern.
Vor dem Femtastic-Talk im Urania Theater begeisterte die Berliner Singer-Songwriterin Novaa das Publikum mit Stücken aus ihrem noch unveröffentlichten neuen Album „She’s A Star“, das ihre charakteristischen, feministischen Themen in ihrem sanften und intimen Stil aufgriff.
Die Schweizerisch-tamilische Sängerin Priya Ragu spielte derweil im den Club Bahnhof Ehrenfeld mit großer Backing-Band. Ihr Debütalbum „damnshestamil“ beeindruckt noch immer – und ihre enorme Bühnenpräsenz hilft dabei.
Einer der herausragendsten Momente des Festivals war der Auftritt der deutschen Soulsängerin Salomea. Die deutsche Spiritualist-Jazz-HipHop-Sängerin hat eine Energie, die an Erykah Badu erinnert. Und wird begleitet von einer Band mit dem Swagger von The Roots. Das Publikum? Hin und weg. Wie passend, dass die in Köln lebende Musikerin und Musikdozentin diejenige war, die in ihrer Heimatstadt am meisten glänzte. In der Tat verkörperte Salomeas Botschaft von Kollektivismus und Empowerment das diesjährige Festival und zeigte, dass Köln nicht nur Talent hat, sondern auch eine Stimme, die wir begrüßen müssen.
Photo : Lenny Rothenburg